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NVT & Filmpodium Thalwil präsentieren: “Lynx”

November 12 @ 20:00 - 22:00

Singsaal Schulhaus Feld, Tödistrasse 77, Thalwil

Filmbeginn 20:00 Uhr, Bar offen ab 19:40 Uhr

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Regie & Drehbuch:   Laurent Geslin
Land, Jahr:                Schweiz, 2021
Musik:                        Armand Amar; Anne-Sophie Versnayen
Version:                     Originalversion (Französisch), deutsch untertitelt
Spieldauer:                82 Minuten

Wussten Sie, dass Luchse singen? Ich wusste es auch nicht, aber es passt zur Poesie dieses Filmes über ein Stück Wildnis in der Schweiz, wie wir es nur ganz selten sehen.

Wildnis findet grossen Anklang. Dokumentarfilme über Löwen und Elefanten und Safaris durch die Serengeti haben seit Jahrzehnten Hochkonjunktur, der Outdoor-Bereich boomt. Wir nehmen weite Reisen und echte Strapazen auf uns (wir kommen ins Schwitzen, mit anderen Worten), um einen Löwen oder eine Herde von Antilopen zu photographieren. Yellowstone-Besucher sind enttäuscht, wenn sie keinen Bären zu Gesicht bekommen, und wir reisen ins Hochgebirge, um einen kurzen Blick auf einen hoch oben kreisenden Bartgeier zu erhaschen.

Anders gesagt, Wildnis ist kostbar – und selten. Das ist auf den ersten Blick überraschend: Wenn Wildnis so toll ist, warum haben wir so wenig davon? Hier in der Schweiz ist der Tenor: Wir haben nicht wirklich Platz für Wildnis.

Vielleicht müssten wir korrekterweise eingestehen: Wir machen nicht wirklich Platz für Wildnis, Koexistenz mit der Natur ist irgendwie nicht unser Ding: Sie muss entweder brav sein oder weichen. Entsprechend ist die sogenannte Megafauna stark dezimiert und in Europa mit wenigen – und seltenen – Ausnahmen verschwunden.

Eine dieser Ausnahmen ist der Luchs.

Luchse sind die grössten Katzen Europas und extrem menschenscheu. Das ist nicht weiter verwunderlich: Ursprünglich von den Pyrenäen bis zum Pazifik verbreitet, wurden sie weitgehend ausgerottet, wenn auch inzwischen in einigen Gebieten wieder eingebürgert. Eines dieser Gebiete ist der Schweiz Jura, wo etwa 75 Luchse vermutet werden. In den Alpen leben vielleicht drei- bis viermal so viele.

Laurent Geslin ist ein welscher Tierphotograph und Dokumentarfilmer. 10 Jahre hat er an Lynx gearbeitet. Der grössere Teil davon war offenbar dem Kennenlernen seiner Stars, der Luchse gewidmet, aber der Film spricht nicht davon, wie er entstand. Umso magischer wirkt, was wir sehen – grad so, als wäre es die leichteste Sache von der Welt, diesen Tieren mit einer Kamera durch den Wald zu folgen.

Lynx erzählt die Geschichte einer Luchsfamilie. Diese Geschichte ist voller Drama, wird aber ganz unaufgeregt erzählt und tritt oft in den Hintergrund zugunsten der prächtigen Bilder, die einen immer wieder in eine andere, unberührtere Welt transportieren. Und doch ist ganz klar beides gleichermassen wichtig: Die Geschichte, welche eine unmissverständliche Botschaft zu Natur und unserem Umgang mit ihr in sich trägt, und die Bilder, die uns immer wieder in eine wunderbare, aber fragile Wildnis entführen.

Die Bilder sind atemberaubend. Es werden nicht nur die Luchse gezeigt, sondern vor allem auch immer wieder Vögel, darunter viele Arten, die auch für erfahrende Ornithologen sehr schwer zu Gesicht zu bekommen sind, wie Haselhuhn, Raufusskauz, Auerhahn, oder Waldschnepfe. Diese Bilder werden kommentarlos präsentiert, und viele Filmbesucher realisieren wohl gar nicht, wie erlesen diese Aufnahmen sind.

Eine Erzählerstimme, immer bedächtig, manchmal mit leichter Melancholie, ergänzt die Bilder mit Hintergrundinformationen. Abgesehen davon machen Menschen in diesem Film nur ganz sporadisch ihre Präsenz bemerkbar, und wenn, dann nehmen wir sie als Fremdkörper wahr, der den Zauber zu zerstören droht.

Eine der für mich prägnantesten Szenen des Films zeigt zwei Spaziergänger, die einen Luchs entdecken. Dieser reagiert erstaunlicherweise nicht auf die beiden, die sich aus eigenem Antrieb rasch & diskret wieder entfernen. Aber es scheint klar, dass sie keine wirkliche Ahnung davon hatten, wie privilegiert sie waren, dieses Tier zu sehen. Mit dem Verschwinden der Spaziergänger kehrt der Film sozusagen wieder zu sich selber zurück, in eine Natur ohne Menschen.

Ist es das, was an Wildnis, oder wenigsten der Idee von ihr, so fasziniert? Die Abwesenheit von menschlicher Präsenz? Was für eine kuriose Ironie – gleichermassen verdoppelt dadurch, dass sie uns vermittelt wird über einen Film.